Die Geschichte der Zugvögel
Eine Perspektive der Vögel auf unsere Welt
Die Geschichte der Zugvögel
An der Nordsee, am Strand von St. Peter Ording saß ich sehr müde auf einer Holzbank. Vielleicht bin ich zu lange gelaufen... dachte ich so vor mich hin. Es war Mai und die Sonne brannte schon heiß auf den Strand. 'Hm! aufpassen!, mach doch mal Pause!’, sagte meine innere Stimme zu mir.
Eine Weile hielt ich meine Augen geschlossen, spürte den Luftdruck des nordischen Windes im Ohr. Holte einmal tief Atem, huu! Dann sah ich die unendliche Linie des Horizontes zwischen Meer und Himmel. Einen Moment lang wurde es geradezu unheimlich ruhig wie bei einem Stummfilm in Schwarzweiß, und dennoch hörte ich leise quietschend, wie alte Filmdrehgeräusche, die Fahrräder in der Ferne.
Dann mischten sich irgendwie rufende, warnende Klänge in die leisen Geräusche. Ich sah die Zugvögel. Sie folgten kraftvoll ihrem Weg. Sie tauschten miteinander Ruf und Wiederruf, hin und her, und hielten ihr Tempo mit gleichmäßig schwingenden Flügeln. Meine Augen folgten den Zugvögeln, bis sie mit dem Horizont vereinigt und von ihm geschluckt waren. Wie wunderschön!, ertönte es leise aus meinem Mund..., und dabei schwangen die Klänge des Vogelzugs weiter in meinem Kopf.
Am nächsten Tag war ich zufällig bei einer Wattenführung dabei. Ich war sehr scheu, blieb hinter dem Rücken der Gruppe zurück. Hörte, wie reichhaltig die Nahrung ist, die das Watt den Vögeln bietet, obwohl da nichts Besonderes zu sein scheint, bloß Sand. Allerdings eine Menge grauer Sand. Faszinierend! Ich betrachtete die sandverschmierte Hand des Wattführers, er erzählte, 'wie viele Lebewesen in dieser Hand voll Sand stecken’, und zeigte uns die winzig kleinen Muscheln, die kaum größer als Sandkörner waren. ‚Es ist das Paradies für die Vögel, sie brauchen nur den Schnabel in den Sand zu stecken...’ Dabei haben wir alle miteinander gelacht. Sein näselnder norddeutscher Dialekt war immer dabei, wir haben ihm die ganze Zeit mit lächelndem Gesicht zugehört.
Dann fragte uns der Wattführer: 'Wissen Sie, wie die Zugvögel den Weg über die Kontinente von Afrika nach Sibirien zur Erzeugung ihrer Nachkommen bewältigen?, und wie können die Babyvögel tatsächlich ohne ihre Eltern ganz ganz allein wieder nach Afrika fliegen, wo die Eltern hergekommen sind?'
... Stille... die Gruppe war offenbar genauso ahnungslos wie ich, und gleichzeitig schwamm in meinem Kopf der Gedanke:’ Meine Vermutung könnte daneben gehen, ich warte lieber!' Dann haben wir eine wunderschöne Geschichte erzählt bekommen:
Als die Kontinente Afrika und Asien noch ein Erdteil waren, war der Weg der Zugvögel noch nicht so weit wie heute. Es war eine Erde ohne Meer zu überqueren. Und während mit der Zeit die Erde von Afrika und Asien getrennt wurde, haben die Zugvögel den Weg von Generation zu Generation weitergegeben, denn es ist die Magnetkraft der tieferen Erde, die entscheidend ist für die Route der Zugvögel. Diese immer weiter auseinander gezogene Route ist nur auf der Oberfläche der Erde relevant, aber unter der Oberfläche ist die Erde noch dieselbe, und diese Route ist seit jeher in die Gene der Zugvögel eingraviert. Deshalb können die jungen Zugvögel auch ohne ihre Eltern von Sibirien nach Afrika fliegen um nach Hause zu kommen.
Diese Geschichte vom Leben der Zugvögel weckte meine ganze Bewunderung. Als ich vor einigen Jahren in Athen eine Marmorskulptur sah, die 600 Jahre B.C. entstanden war, bekam ich eine Gänsehaut, und neben mir fiel ein Amerikaner sogar vor der Skulptur auf die Knie und schrie mit Tränen in den Augen 'oh my God!, oh my God!', wie geloopt, und ich dachte damals, was für großartige Geschöpfe die Menschen sind. Gestern, als ich auf der Bank am Strand den Zugvögeln nachschaute, dachte ich, dass diese Route sogar eine Millionen Jahre alte Geschichte hatte, und wie mutig es jedes Jahr aufs Neue von den jungen Vögeln ist, die frischen Flügel zu entfalten und sich freiwillig und ohne geführt zu werden auf den Weg nach Afrika zu begeben!
Manchmal sind die Menschen blind und hochmütig auf der Erde, sie tun so, als ob sie Hauptdarsteller in der Geschichte der Erde waren und sind. Wie lächerlich! So zog ganz kurz dieser Gedanke durch meinen Kopf, schnell und scharf wie ein Nordwind 'Huing!'.
Dann schwangen diese Rufe und Laute der Zugvögel weiter in meinen Gedanken nach und begleiteten meine Schritte auf den Rückweg. In mir wuchs allmählich der dringende Wunsch, mit der Energie dieser wunderschönen Vogelwelt etwas zu machen. Es reichte mir nicht, kleine Grüße hinauf zu schicken: 'Hallo Ihr, ich wünsche Euch eine gute Reise und schöne Heimkehr!'. Mir schwebten diese kräftigen Flügelgeräusche über Sibirien vor, oder auch die Tänze, die die Menschen seit jeher imitiert haben. Auch die Gesänge, mit denen sie ihr Glück und ihre Gefühle mitteilen, und die Rufe, die herzerwärmend den Horizont entlang schallen.
Ich fühlte mich den Vögeln da oben gegenüber als ein kleiner Punkt, der den Strandweg entlang krabbelt, ganz und gar unbedeutend... Trotzdem ist meine Bewunderung wert, gezeigt und mitgeteilt zu werden, eine solche Emotion ist sehr kostbar! So ermutigte ich mich selber, dass ich auch mit meinen Mitbewohnern auf der Erde eine wunderschöne Geschichte zusammen erschaffen kann, zumindest, solange ich sie mit Respekt und Neugierde betrachte. Plötzlich fingen die Klänge der wunderbaren Wesen an, sich neu in mir zu entfalten, und dann tauchten die Bilder von den bunt kolorierten tanzenden Vögeln auf. 'Die Farben könnten noch bunter und knalliger sein', so korrigierte ich mich selber. Etwas hatte in mir angefangen!
So begann ich die Musik 'BiRDS' zu komponieren. Die Notiz für die erste Tonspur begann so: 'Bitte, unbedingt zuerst mit lebhaften Rhythmen zu tanzen beginnen!'