Wahrheit
Echte Tränen.
Wahrheit
Echte Tränen
"SURRR!
In meinem Herz steckt ein alter, kaputter Kompass, der sich verirrt hat.
Seine Nadel bewegt sich wieder. Still zeigt die Nadel auf mich."
TROPF!
Tränen entfliehen meinen Augen
und fragen mich unerwartet,
nachdrücklich, Wort für Wort:
„Die Wahrheit liegt vor deinen Augen. Wieso erkennst du die Wahrheit nicht?
Wieso erinnerst du dich nicht?“
TROPF! TROPF!
ZACK! In meiner Brust sticht irgendwas.
PANG! Die Atemwege wie zugesperrt.
HACH! Ich versuche, Atem zu gewinnen.
Ich atme tief durch. PUUH!
Stille für eine Weile ....
Diese fragende Stimme ... irgendwie kommt sie mir bekannt vor, als ob ich sie schon mal gehört hätte.
Ja, wenn ich darüber nachdenke, schon früher haben mir meine Tränen Fragen gestellt.
PATSCH! Als die schwarze Ameise ihren letzten Moment hatte.
KLICK! Als mein peinliches Lächeln mit der Kamera festgehalten wurde.
TOROROK, HOROROK! Als ich mit meinem schweren Koffer am Bahnsteig stand.
RATTER! RATTER! Als es sich anhörte wie ein ab und zu vorbeifahrender Zug.
ZACK! ZACK! Als ich die alten Bücher und Fotos in die Ecke warf.
KRÄCHZ! Als über einem mir bekannten Gesicht auf dem Schwarzweißfoto die Stimme erschallt, krächzend wie die einer Krähe.
KNISTER! Als ich die blaue Mittelmeersalztüte öffnete ...
Diese aufgezeichneten Erinnerungen fließen vor und zurück – und blenden übereinander.
Die Tränentropfen werden zurück in die Augen gesogen.
Und wieder hört es sich an, wie am Anfang:
„Die Wahrheit liegt vor deinen Augen. Wieso erkennst du sie nicht?
Wieso erinnerst du dich nicht?“
TROPF!
Jedesmal, wenn wegen bestimmter Geräusche mir Tränen aus meinen Augen tropfen,
fragen sie mich erneut.
Tatsächlich. Ich erinnere mich, es gab viel Momente, in denen eine zaghafte Empörung die Wahrheit überdeckte.
Mein Körper war klein wie ein Sandkorn und spuckte vor Wut. Unter dieser Wut und Verzweiflung waren die Fragen der Tränen nicht zu vernehmen... Und so verdunsteten sie einfach ...
Während solcher Momente wird die Wirklichkeit verdeckt und Täuschung betäubt mich. Meinen geschlossenen und zusammengepressten Augen entflohen Tränen. Sie sind auf der Suche nach Erkenntnis, sie wollten die Wahrheit sehen und fühlen.
TROPF! So entflohen sie meinen Augen.
Und jedes Mal fragten sie mich mit einer anderen Stimme ...
SURRR! In meinem Herz steckt ein alter, kaputter Kompass, der sich verirrt hat. Seine Nadel bewegt sich wieder. Still zeigt die Nadel auf mich.
...
Plötzlich schweigen die Tränen.
...
Langsam öffnen sich meine tief versperrten Atemwege. PUHH!
Noch einmal atme ich tief durch.
Erneut Stille für eine Weile ....
Ganz kurz tauchen skurrile Emotionen auf, die mit dem Ausatmen aufflattern;
Geräusche lassen mich nicht mehr in Panik verfallen,
wie befreiend ...
Während meiner Reise zu den Tränen
lauschte ich gerne dem, was sie erzählten.
... Die Wahrheit hat viele Gesichter und ab und zu spricht sie in einer anderen Sprache.
Irgendwie dringt sie in das Blickfeld und das Leben der Menschen ein ...
Wer das zulässt, dessen Herz wird immer freier. ...
Irgendwann erfahre ich so über echte Tränen,
was mir viele Fragen beantwortet. Und deshalb schreibe ich noch etwas weiter.
Tränen, die Menschen verbinden,
Tränen, die die Kraft haben, die Herzen zu berühren,
solche Tränen, das sind echte Tränen.
Tränen, die die Augen ausspülen,
damit man die Zukunft klarer sehen kann,
solche Tränen, das sind echte Tränen.
Auch solche Tränen, die Menschen aufwecken.
Solche vortrefflichen Tränen,
sie fließen still, farb- und klanglos.
Wie die Tränen des geteilten Schmerzes für einen geliebten Menschen.
Oder die Tränen während des Abschieds von einem Verstorbenen, der in Gedanken noch immer lebendig ist.
Die Wärme solcher Tränen bildet ein starkes Jetzt, für dessen Bedeutung ich lebe.
Farblos, klanglos fließen die Tränen leise, ... noch leiser.
Die Nadel des Kompass‘ in meinem Herz ...
bewegt sich.